25 Jahre tfk, 2010

Rede von Anemone Poland
gehalten am 7. November 2010 anlässlich des 25jährigen Bestehens des theaterforum kreuzberg

Liebe Gäste,

liebe Freunde und Förderer des theaterforum kreuzberg,

heute, auf den Tag genau vor 25 Jahren versammelte sich hier zum erstenmal ein Publikum, um eine Theatervorstellung zu sehen. Damals wie heute spielte man Ionesco – vielleicht kein Zufall?

Die Zeit des Theaters ist der Moment, der Augenblick – nie die Dauer, das feste Bleiben. Eine Theatervorstellung ist irgendwann vorbei, nach zwei, drei Stunden … Was bleibt, wenn der letzte Vorhang gefallen ist? Das ist sprichwörtlich gemeint, denn wie Sie wissen, gibt es bei uns gar keinen Vorhang.

Also, was bleibt? Die Erinnerung an erzählte Geschichten, an Bilder, Gefühle und Gedanken, die jeder Zuschauer mit nach Hause nimmt.

Es bleiben die Erfahrungen, die die Künstler während der Arbeit hier machen, ein paar Fotos, Rezensionen …
Theater ist ein flüchtiges Medium.

Aber Theater kann auch ganz physisch gemeint sein, ein Haus, ein Ort, an dem Theater gemacht, gespielt wird. Und dieser Ort bleibt, hat Bestand, solange er mit Theater „angereichert” wird, solange es Menschen gibt, die zeigen wollen, was sie geschaffen haben und andere, die sich dafür interessieren, die sich dieses Geschaffene anschauen möchten.

Jeder Künstler, der hier aufgetreten ist, geschwitzt, sich gefreut und auch gequält hat, jeder, der hinter der Bühne, am Tresen, im Büro gearbeitet hat und auch jeder Besucher, sie alle haben ihre Spuren hinterlassen. Stellen Sie sich vor, das alles könnte man sichtbar, greifbar machen, wie die Jahresringe an einem Baum. Das Kondensat aller Ereignisse und Begegnungen, die berühmte Theaterluft, die Atmosphäre eines Theaters, die ist nicht einfach da, sie muss geschaffen werden. Eine Besucherin, die kürzlich zum erstenmal hier war, sagte: „Oh, das riecht hier nach guter Arbeit.” Dass wir alle gern und freiwillig hier sind und arbeiten können, trotz aller Schwierigkeiten – es läuft ja nicht immer alles glatt, und es ist nicht immer Harmonie und Sonnenschein – das macht die Ausstrahlung des tfk aus.

Ein kleiner Rückblick:

1985 hatten junge Theaterleute auf Initiative von Jobst Langhans begonnen, den alten Ballsaal des ehemaligen Köpenicker Hofes zu einem Theater auszubauen. Man wollte einen Ort für künstlerische Experimente schaffen. Hauptinteresse war dabei die Schauspielmethodik von Michael Tschechow, die in Deutschland zu dieser Zeit nahezu unbekannt war.

Sieben Jahre später, 1992 fand zum erstenmal in Deutschland ein Michael Tschechow Workshop statt. Die Maueröffnung hatte es möglich gemacht, Theaterkünstler aus Ost und West von Sibirien bis Los Angelos hier ins tfk einzuladen. Heute ist die Arbeit von Michael Tschechow bekannt und beeinflusst die Lehrpläne der staatlichen und privaten Schauspielschulen.

Zu einem Theatergebäude gehören ja nicht nur Bühne und Zuschauerraum, sondern auch Garderoben, Toiletten, Duschen, Lagerräume für Requisiten und Dekorationen, ein Kostümfundus, Werkstätten und ein Büro. Das alles war bei der Eröffnung noch nicht fertig, aber man konnte spielen, ein Publikum empfangen. Als ich 1990 zum erstenmal hierher kam, damals als Schauspielerin in „Der Tote Tag” von Ernst Barlach, war die Bauphase gerade abgeschlossen. Ich mochte dieses Theater, die Arbeit miteinander, die Verbundenheit mit den anderen Projekten, die sich unter dem Dach des Forum Kreuzberg angesiedelt hatten. Die meisten Projekte im Forum sind sozial-pädagogisch orientiert, aber das Theater als Kulturprojekt war gewollt und erwünscht, es wurde als notwendig, als notwendige geistige Nahrung gesehen. An dieser Stelle möchte ich herzlich allen Forums-Gründern und Mitgliedern danken, denn ohne ihre finanzielle, praktische und ideelle Unterstützung wäre es nicht möglich gewesen, dieses Theater 25 Jahre lang ohne öffentliche Zuwendungen zu betreiben.

Als ich das tfk dann näher kennengelernt hatte, fand ich – typisch für eine Schauspielerin – dass hier mehr Vorstellungen stattfinden müssten, aber das war für das hauseigene Ensemble nicht leistbar, denn keiner der Bühnenkünstler konnte – damals wie heute – von seiner Arbeit hier leben. Ich kannte einige Kollegen und andere Ensembles, die Aufführungsorte für ihre Stücke suchten, und so begann ich, einen Gastspielbetrieb aufzubauen. Das brachte nicht nur Mieteinnahmen – nicht viel, denn die anderen Ensembles haben genau so wenig wie wir – es brachte vor allem frischen Wind, neue Menschen und neue Ideen ins tfk.

Heute wird an jedem Wochenende gespielt, oft auch unter der Woche, ohne Sommerpause. Im letzten Jahr gastierten 26 verschiedene Ensembles, es fanden 140 Vorstellungen statt. Dass es dabei manchmal sehr lebhaft zugeht, können Sie sich vorstellen; die freie Szene ist sehr kreativ und selten berechenbar.

Das tfk ist als Gastspielort gefragt, Tendenz steigend, denn viele kleine Theater mussten, wie sie vielleicht wissen, in der letzten Zeit schließen, weil ihnen das Wasser bis zum Hals stand oder sie haben aufgegeben, denn diese ewige Antragstellerei auf Förderung, die damit verbundenen Hoffnungen, die Enttäuschungen, wenn ein Antrag wieder ohne Begründung abgelehnt wurde, ist auf die Dauer kräftezehrend und zermürbend. Das kenne ich leider aus eigener Erfahrung nur zu gut.

Vor 5 Jahren wurde es auch am tfk finanziell richtig eng. Der Forum Kreuzberg e. V. musste die Höhe der Zuwendungen absenken, um andere Projekte im Forum am Leben zu halten, eine Stiftung, die Produktionen finanziert hatte, löste sich auf. Nach einer Anhörung beim damaligen Berliner Kultursenator war mir klar, dass die Chancen auf öffentliche Förderung gleich Null sind. Genau zu dieser Zeit lernte ich Herrn von Oppeln kennen, den ich sehr herzlich begrüße. Er war gerade im Begriff, eine Task Force Theater zu gründen, mit dem Ziel, Kulturinstitutionen zu unterstützen und Chancen fürs überleben aufzuzeigen. Er wurde unser Berater und das tfk ein erstes Projekt der Task Force.

Was dann folgte war ein zuweilen mühsamer Prozess der Evaluation, und ich habe mich oft gefragt, was das alles noch mit Theater zu tun hat. Aber ich weiß heute, was z. B. eine Handtuchrolle in den Toiletten kostet, welche Einnahmen am Tresen erzielt werden können, was eine Betriebsstunde im Theater kostet mit Strom und Heizung und alle die kleinen Dinge, die scheinbar so selbstverständlich und deshalb aus dem Bewusstsein sind. Nach einem halben Jahr, in dem eine gründliche Analyse der wirtschaftlichen und künstlerischen Situation des Theaters durchgeführt wurde, lag ein Businessplan auf dem Tisch und es war deutlich, wo Chancen, Ressourcen und Möglichkeiten liegen, um das Theater auch in Zukunft professionell zu betreiben.

Dem Theater wurde eine eigenständige Rechtsform gegeben, der Förderverein theaterforum kreuzberg e. V. gegründet, der gemeinnützig anerkannt ist. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, Drittmittel von Stiftungen und privaten Gebern für das Theater einzuwerben.
Aufgrund der transparenten Struktur, ist klar erkennbar, wofür die Spenden verwendet werden, wohin das Geld fließt und ich möchte Sie ermuntern: bitte lassen sie es fließen, werden Sie förderndes Mitglied im theaterforum kreuzberg e. V. oder helfen Sie mit einer Spende, damit auch in Zukunft in diesem Haus lebendiges Theater stattfinden kann.

Den Künstlern am tfk, den Gastspielensembles gemeinsam ist, bei aller Unterschiedlichkeit der Stile, dass sie ein „armes Theater” machen, nicht nur der Not gehorchend. Sie sind unangepasst, bestehen auf ihrer eigenen Ausdrucksform und machen aus fast nichts interessante und anregende Theaterabende. Man könnte sagen, dass wir ein Recycling-Theater sind, denn die Ausstattung, die Kostüme, das Bühnenbild wird meistens aus den Dingen hergestellt, die wir im Fundus oder im Keller haben, die wir geschenkt bekamen und die immer wieder in unterschiedlichster Form in Erscheinung treten.

Es werden Stücke aufgeführt, die man an anderen Theatern in Berlin nicht sehen kann. Mit diesen Ausgrabungen unbekannter oder vergessener Dichter, mit Erst- und Uraufführungen haben wir uns eine kleine Marktnische in der Stadt erspielt. Und es gibt noch viel zu entdecken.

Heute Abend sehen Sie eine realistische Komödie von Ionesco, einem Autor, dessen Dramen, die selten gespielten und fast vergessenen späten Werke wir in den letzten Jahren hier gezeigt haben – oft als Berliner Erstaufführung. „Triumph des Todes”, „Fußgänger der Luft”, „Hunger und Durst”. Ionescos Protagonisten existieren an der Schwelle, balancieren am Rand, und sie passen sich nicht an.

Ich habe dieses Stück „Jakob oder die Unterwerfung” als Jubiläumsinszenierung gewählt, weil die Situation des Jakob uns so gut bekannt ist und weil das ganze mit viel Humor erzählt wird. Denn es ist eine Komödie, obwohl Ionesco sagt: ”Immer wenn ich eine Tragödie schreiben wollte, lachen die Leute und bei meinen Komödien weinen Sie”. Ich hoffe, dass Sie heute Abend auch lachen können oder wie der Vater Robert im Stück sagt: „Es macht mich traurig mit einem Auge, mit den beiden anderen muss ich weinen.”

Wir möchten Ihnen zeigen, dass wir sehr lebendig sind und vorhaben, es auch zu bleiben – allen Widerständen zum Trotz. Mut und Durchhaltewillen haben wir und Pläne für die nächsten Ausgrabungen auch. Bleiben Sie uns gewogen, ein interessiertes, nachfragendes und auch kritisches Publikum, das ein Theater braucht. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen und uns einen anregenden Theaterabend und im Anschluß bleiben Sie und feiern Sie mit uns das 25jährige Bestehen des theaterforum kreuzberg.

* * *

25 Jahre theaterforum kreuzberg

Könnte man die Zeit doch einige hundert Jahre zurück drehen! Dann wäre im Haus der Eisenbahnstraße 21 noch heute das Thorschreiberhaus, also die Unterkunft des Torschreibers, der im 18. Jahrhundert an dieser Stelle die Kontrolle über das Schlesische Tor hatte und die Steuereinnahmen aus dem Wege- und Torzoll einnahm und verwaltete. Dann würde das theaterforum kreuzberg also nicht nur dank Enthusiasmus, Mut und Durchhaltewillen weiterleben, sondern von öffentlichen Steuergeldern profitieren können. Andererseits, damals gab es ja noch kein Theater:

Vor 2500 Jahren in Griechenland

Der Name Theaterforum verweist auf die Wurzeln des Theaters in Griechenland. Das Theater entstand damals im öffentlichen Raum, auf dem Forum. Und das Teatron war der an das Forum angrenzende Raum für die Zuschauer. Schon damals war das Theater von staatlicher Einflussnahme so unabhängig wie das tfk heute. Und ebenso wie damals, ist auch heute noch das Theater der Ort, an dem Fragen der Gegenwart im dramatischen und phantasievollen Geschehen durchgespielt werden. Manches Theater ist heute nur nicht mehr ganz so unabhängig. Das theaterforum kreuzberg hingegen hat sich die völlige Unabhängigkeit und Selbständigkeit bewahrt.

Vor 250 Jahren in Deutschland, um 1850

Im 18. Jahrhundert, also vor ca. 250 Jahren, etablierte sich in Deutschland das bürgerliche Theater, nachdem Jahrhunderte lang Theater nur bei Hofe als Vergnügen für die Adligen oder als volkstümliche Belustigung auf der Kirmes stattfand. Lessing ist es zu verdanken, dass sich eine bürgerliche, öffentliche Bühne auch in Deutschland entwickelte. Nur mit großer Verzögerung und gegen allergrößte Widerstände entstanden die verschiedenen großen Bühnenhäuser in Deutschland: das von Lessing gegründete Deutsche Nationaltheater in Hamburg, das von Schinkel geplante Schauspielhaus Berlin. Mit der Errichtung dieser Theater, die nun geschützten Raum für öffentliche Aufführungen boten, entstand jedoch auch ein finanzieller Bedarf dieser Theater. Zwar hatte man nun die Gewerbefreiheit, die Theater mussten sich diese Freiheit aber schon früh wirtschaftlich selbständig absichern. Es entstanden damals die sogenannten Theateraktivvereine. – Und damals war in der Eisenbahnstraße dann schon kein Steuereinnehmer/Torschreiberhaus mehr, sondern ein kommerzielles Restaurant samt Tanzsaal und Kegelbahn, das für Hochzeiten, Versammlungen und andere Feste vermietet wurde, als Teil des Köpenicker Hofes. An ein Theater an dieser Stelle dachte damals noch niemand.

Vor 25 Jahren in Berlin, 1985

Die traditionellen Häuser und Räumlichkeiten der Köpenicker Str. 174 und Eisenbahnstr. 21 sind inzwischen vom Verein Forum Kreuzberg umfangreich saniert und zu Großstadtoasen entwickelt worden.

Hier gründete 1985 der Lehrer, Schauspieltrainer und Regisseur Jobst Langhans das tfk mit dem programmatischen Stück Der König stirbt von Ionesco. Langhans leitete das Theater bis 1995 und betrieb nebenher noch die Gründung des Michael Tschechow Studios. Von Anfang an war das tfk als Trainingsstätte auch für Berufsanfänger der Schauspielerei gedacht und bietet seither jungen Bühnenkünstlern, die ihre Karriere beginnen wollen, die Möglichkeit, sich zu etablieren. Denn das tfk sollte stets ein Ort für künstlerische Experimente und ein Theaterlabor sein.

In den 80er Jahren hatte sich in Berlin eine höchst lebendige Theaterszene entwickelt, die eine Vielzahl kleiner Freier Theater hervorbrachte. Diese Theaterszene war des schwerfälligen, bürgerlichen Theaterbetriebes überdrüssig geworden und proklamierte nun ein neues Verständnis der Theaterarbeit. Man wollte die soziale Struktur des Theaters reformieren, aber auch die Inhalte und die ästhetische Form. Am tfk widmete man sich der Schauspielmethodik von Michael Tschechow (dem Neffen des berühmten Dichters Anton Tschechow), bei der die Imagination des Schauspielers eine große Rolle spielt. Bis heute wird dies so praktiziert, die Schulung der Schauspieler des hauseigenen Ensembles bildet die wichtigste Säule des erfolgreichen Theaterbetriebes am tfk.

Dazu zählen die vielen Gastspiele und Schauspielkurse, die Anemone Poland, die seit 1996 das tfk engagiert leitet, für das Theater organisiert. Jährlich werden auf hohem Niveau etwa 20 Produktionen verschiedener Gast-Ensembles gezeigt, Jugendtheaterprojekte und vor allem bedeutende Eigeninszenierungen. Auf die Bühne kommen Stücke der klassischen Moderne, die man in Deutschland kaum kennt oder die zu Unrecht vergessen sind. Darunter wahre Entdeckungen der Regisseurin Poland, wie das Drama des Malers Max Beckmann oder die Stücke von Ionesco, zu denen sie immer wieder zurückkehrt. Denn Ionesco ist für das engagierte Ensemble des tfk programmatisch: absurd, witzig und auch empfindsam gegenüber jeglicher Unfreiheit.

Das theaterforum kreuzberg begeistert immer wieder seine Zuschauer. Aber:

„Leicht kommt man ans Bilderrmalen, doch schwer an Leute die’s bezahlen.”

Man wünscht dem tfk für die nächsten 25 Jahre alles Gute und im Sinne von Wilhelm Busch auch viele Förderer und Unterstützer fürs Weitermachen. Damit noch viele wunderbare Theaterabende dem Publikum im spielerischen Licht der Bühne neue Lösungswege und Sichtweisen der Gegenwartsprobleme aufscheinen lassen können.

Helga Prignitz-Poda, September 2010

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Dann werden Sie förderndes Mitglied im
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Kontakt: Petra Hildebrand-Wanner, Tel: 612 88 880

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