Rede von Anemone Poland zum 30jährigen Bestehen des theaterforum kreuzberg im November 2015
Liebe Freunde und Förderer des theaterforum kreuzberg, liebe Gäste,
wir freuen uns, dass Sie heute Abend den Weg zu uns gefunden haben und ich möchte Sie auch im Namen des Ensembles und des Teams des tfk herzlich willkommen heißen.
Heute, auf den Tag genau vor 30 Jahren ging in diesen Räumen zum ersten Mal eine Vorstellung über die Bühne. Ein paar junge Theaterleute hatten sich auf Initiative von Jobst Langhans zusammen gefunden und angefangen den alten Ballsaal des ehemaligen Köpenicker Hofes zu einem Theater umzubauen. Man wollte einen Ort für künstlerische Experimente schaffen. Besonderes Interesse lag dabei auf der Schauspielmethodik von Michael Tschechow – und ist es bis heute geblieben, hat sich sogar noch intensiviert, wie die inzwischen gegründete Schauspielschule zeigt.
Lieber Jobst, ich freue mich, dass Du heute hier sein kannst. Hättest Du es Dir damals träumen lassen, dass wir uns 30 Jahre später hier versammeln, um Deinen Gründungsimpuls zu feiern? Wahrscheinlich hattet Ihr für solche Gedanken damals gar keine Zeit. Aber so wie ich Dich kenne, sind Dinge, die Du einmal ins Leben rufst nicht auf Sand gebaut, sondern von Dauer.
Obwohl …
Die Theaterkunst ist eine flüchtige. Eine Theatervorstellung ist irgendwann vorbei. Was bleibt? Die Erinnerung an Bilder, Wörter, Gefühle, Gedanken, die die Zuschauer mit nach Hause nehmen. Es bleiben die Erfahrungen, die die Künstler während der Arbeit hier machten, ein paar Fotos, Videos, Rezensionen …
Die Zeit des Theaters ist der Moment, der Augenblick, das unmittelbare Erleben – nie die Dauer, das feste Bleiben. Theater bedeutet Verwandlung, Bewegung.
Aber Theater kann auch ganz physisch gemeint sein, ein Haus, ein Ort, an dem Theater gemacht, gespielt wird. Und dieser Ort bleibt, hat Bestand, solange es Menschen gibt, die zeigen wollen, was sie geschaffen haben und andere, die sich dafür interessieren und sich dieses Geschaffene anschauen möchten.
Theater macht man immer gemeinsam. Ein Merkmal dieses Hauses ist das Ensemble, und damit meine ich nicht nur diejenigen, die in einer Aufführung sichtbar werden, die Schauspieler, Sänger und Tänzer, ich meine nicht nur, diejenigen, die an einer Inszenierung mitarbeiten, die Bühnenbildner, Kostümbildner, Maskenbildner, Komponisten, Beleuchter, Techniker und Bühnenbauer, sondern zum Ensemble des tfk gehören auch die Menschen, die dazu beitragen, dass die Veranstaltungen und der Probenbetrieb so reibungslos und in guter, kollegialer Atmosphäre stattfinden. An erster Stelle möchte ich Petra Hildebrand-Wanner nennen, die seit vielen Jahren das künstlerische Betriebsbüro leitet. Ich möchte Dir sehr herzlich danken für Deine Umsicht und Zuverlässigkeit, und auch für Deine Geduld, die Du mit mir hast.
Zum Ensemble gehören auch die Menschen, die die Kasse, den Vorverkauf, den Abenddienst, die Website betreuen und ganz wichtig auch diejenigen, die dafür sorgen, dass es hier so gepflegt und sauber aussieht.
Es herrscht natürlich nicht immer Sonnenschein und Harmonie, es gibt auch Auseinandersetzungen und Mißverständnisse, aber wir wissen, warum wir hier sind und wir sind froh, hier sein zu können, obwohl keiner von seiner Arbeit hier leben kann, das ist ganz materiell gemeint!
Zum tfk gehören auch die vielen Gastensembles, es sind in diesem Jahr 30, die ca. 150 Vorstellungen spielen, und die dazu beitragen, dass dieses Haus Bestand hat. Sie bringen frischen Wind, neue Menschen und neue Ideen mit, und auch Einnahmen. Wir versuchen die Miete für Gastspiele erschwinglich zu halten, denn die anderen haben genauso so viel oder so wenig wie wir. Trotzdem sind diese Einnahmen wichtig für den Erhalt des tfk. Aber nicht nur diese.
Ohne die Zuwendungen und Unterstützung des Forum Kreuzberg Fördervereins wäre dieses Theater nicht gegründet worden und hätte bis heute nicht überlebt. Dafür sei den Mitgliedern des Forum Kreuzberg herzlich gedankt.
Als es vor 10 Jahren finanziell sehr eng wurde, (eine Stiftung, die das Theater unterstützt hatte, wurde aufgelöst, die Zuwendungen durch den Forum Kreuzberg Förderverein mussten abgesenkt werden, um andere Projekte am Leben zu erhalten) lernte ich Herrn von Oppeln-Bronikowski kennen, den ich sehr herzlich begrüße. Er war damals gerade im Begriff eine Task Force Theater zu gründen, mit dem Ziel, Kulturinstitutionen zu unterstützen und ihnen Chancen zum Überleben aufzuzeigen. Er wurde unser Berater und das tfk ein erstes Projekt der Task Force. Er stand uns mit Rat und Tat zur Seite, begleitete die Gründung und Anerkennung des gemeinnützigen Vereins theaterform kreuzberg e.V. Bis heute ist er unser Ratgeber und vor allem Vermittler zu Unterstützern und Stiftungen. Dafür sei Ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt.
Danken möchte ich auch den Vereinsmitgliedern des tfk, die mit ihrer Spende zum Erhalt des Theaters beitragen.
Auch in Zukunft ist das tfk auf Spenden und Zuwendungen angewiesen und ich möchte Sie ermuntern, werden Sie förderndes Mitglied oder helfen Sie mit einer Spende, damit auch weiterhin in diesem Haus lebendiges Theater stattfinden kann.
Sie werden zwei junge Damen unseres Teams treffen – Francesca und …- die vorbereitete Formulare bereit halten, auf denen Sie Ihre Mitgliedschaft erklären können, und am Tresen steht ein kleiner umfunktionierter Perückenkoffer, der bereit ist, Bares zu empfangen.
Zurück zum Geschehen auf der Bühne:
Mit den hauseigenen Produktionen hat sich das tfk in den letzten Jahren eine kleine Marktnische in der Berliner Theaterszene erobert. Wir zeigen Stücke, die Sie anderen Häusern nicht sehen können. Ich inszenierte mehrere Stücke von Ionesco, „Hunger und Durst“ war sogar eine Deutsche Erstaufführung, „Triumph des Todes“ eine Berliner Erstaufführung. Es gab auch eine Uraufführung: „Das Hotel“ ein Drama des Malers Max Beckmann. Kaum jemand wusste, dass Beckmann auch Theaterstücke geschrieben hatte. Ich lese gern und oft, meistens unbewusst zieht es mich zu den Autoren des französischen Theaters, der Avantgarde aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, die ihre Wurzeln im Surrealismus fand und viele dieser Autoren sich im Kreis um André Breton versammelt hatten. So waren hier Stücke als Deutsche Erstaufführung von Georges Schehadé und Roger Vitrac zu sehen. Es ist immer spannend Unbekanntes zu entdecken oder Vergessenes wieder zu beleben. Schon in meiner Arbeit als Schauspielerin mochte ich besonders gern die Rollen, die vor mir noch niemand gespielt hatte, z.B. die „Elisaveta Bam“ von Daniil Charms bei den Berliner Festwochen. Nächste Woche zum Ausklang unserer Jubiläums-veranstaltungen begeben wir uns auf Spurensuche und lesen Texte von Daniil Charms und von Hans vom Glück.
Heute Abend also Anouilh, ein Autor, der in den 60er und 70er Jahren viel gespielt wurde in Deutschland und dessen Stück „Antigone“ auch heute noch häufig auf den Spielplänen zu finden ist. Aber seine anderen Dramen und Komödien scheinen vergessen. Als mir der Verlag, bei dem ich um die Aufführungsrechte für „Eurydike“ nachfragte, mitteilte, dass es sich um eine Berliner Erstaufführung handelt, konnte ich es kaum glauben. Dann dachte ich: „Das passt ja !“
Anouilh verlegt die Handlung des antiken Mythos ins Hier und Heute, genauer: auf einen Bahnhof in der südfranzösischen Provinz. An diesem Transitort begegnen sich Orpheus und Eurydike. Orpheus, der mit seinem Vater als Straßenmusiker durch die Cafés zieht und Eurydike, eine junge Schauspielerin, die mit einem Tourneetheater durch die Provinz tingelt. Die beiden wollen ein anderes, ein ehrliches und anständiges Leben führen. Sie wollen keine Kompromisse schließen wie ihre Eltern oder Kollegen. Doch sie müssen erkennen, dass sich ihre Idealvorstellung nicht verwirklichen lässt. Sie können sich nicht abkaspeln, nicht in einem Vakuum leben. Die Erfahrungen die sie gemacht haben, das Leben, das sie bisher geführt haben, lassen sich nicht auslöschen. Deshalb ziehen sie sich in eine andere Welt, ins Jenseits zurück. Bei Anouilh ist diese andere Welt oft die Welt des Theaters. Die Bühne wird zum Spiegel, der das Leben reflektiert und dem Zuschauer den Blick auf sich selbst ermöglicht. Das Theater – ein Ort, an dem Erfahrungen aufbewahrt werden aber auch ein Ort für Utopien. Deshalb habe ich für diese Jubiläumsproduktion ein Stück von Anouilh ausgewählt.
Jetzt wünsche ich Ihnen einen anregenden Abend, bleiben Sie uns gewogen, ein teilnehmendes und auch kritisches Publikum, denn wie ich eingangs sagte:
Theater macht man immer gemeinsam und dazu gehören auch die Zuschauer!